Vortrag über den Mauerfall am 9. Nov. 1989 am Overberg Kolleg vom 7.11.2024
Referent: Prof. Dr. Helmut Müller-Enbergs
Als sich am 9. November 1989 die Berliner Mauer öffnete …
ein Ereignis, das der ehemalige Overbergianer Prof. Dr. Helmut Müller-Enbergs als Zeit- und Augenzeuge erlebte und von dem er in einem Vortrag am Overberg-Kolleg ausführlich berichtete.
Da das Geschehen in der DDR in diesen Jahren in einem engen Zusammenhang mit seiner eigenen Biografie steht, war diese auch so etwa wie ein roter Faden für die Darstellung der historischen Gegebenheiten.
Als studentische Hilfskraft am Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung an der FU Berlin hatte er sich ab 1986 intensiver mit der Lage in der DDR auseinanderzusetzen. Seine Aufgabe war es, die wichtigen Tageszeitungen der DDR „Neues Deutschland“ und „Junge Welt“ zu beobachten und Analysen über die Situation in der DDR zu erstellen.
Seine Interessen änderten sich im September 1989, als er nun regelmäßig in die DDR einreiste. Besonderes Interesse habe er für die oppositionellen Gruppen gehabt. So sei es dann auch sehr schnell zu Kontakten mit bekannten Personen der Opposition gekommen, z. B. Freya Klier oder Bärbel Bohley. Der Kontakt zu diesen Personen und Gruppen habe gezeigt, dass die oppositionellen Gruppen sehr heterogen in der jeweiligen Zusammensetzung und auch ihren Zielsetzungen gewesen seien. In einem Fall habe man sich mit Überlegungen beschäftigt, wie die DDR zu erneuern sei, während eine andere Gruppe sich mit Überlegungen zu einem alternativen Sozialismus auseinandergesetzt habe; wiederum andere wollten in drei Stufen zur deutschen Einheit gelangen. Aus der Bewegung der bestehenden DDR-Parteien sei zunehmend das Bestreben erwachsen, sich von der führenden Rolle der SED zu lösen. Von Beseitigung oder Auflösung der DDR sei nur bei Teilen der Bürgerbewegung die Rede gewesen. Ein besonderes Problem habe allerdings die Politik Gorbatschows und sein Verhältnis zu den politischen Eliten der DDR und umgekehrt dargestellt. Hier sei von beiden Seiten viel Misstrauen im Spiel gewesen – auch innerhalb der SED-Führung. Des Weiteren fehlten der politischen Elite die Visionen, wie es mit der DDR weitergehen sollte. Im Mittelpunkt des Handelns habe das 40jährige Bestehen der DDR und die entsprechenden Feierlichkeiten gestanden. Wohingegen in der Opposition der Blick nach vorn gerichtet war.
Vom Herbst 1989 an hielt sich Müller-Enbergs in der DDR, dann beruflich in Brandenburg und Ost-Berlin auf. Dabei hatte den nicht nur unmittelbaren Kontakt zu den einzelnen Oppositionsgruppen, sondern gehörte ab Januar 1990 selbst zur Bürgerbewegung Demokratie Jetzt, deren Mitarbeiter er ab April 1990 und Mitglied deren Sprecherrats er ab Juni 1990 war. Überrascht konnte er feststellen, wie sich die Forderungen in recht kurzer Zeit ändern. So forderte die Bürgerbewegung Demokratie jetzt die Aufgabe des Führungsanspruches der SED und verband mit der Planung des Weges zur deutschen Einheit eine wesentliche Veränderung. Es ging also nicht mehr nur um Opposition, sondern um Mitgestaltung. Diese konnte nicht im Interesse der herrschenden Eliten sein und so hatte die Staatsmacht für diese Fälle vorgesorgt und sogar zur Abwehr möglicher Bürgeraufstände die Vollzugsorgane trainieren lassen.
Eine Demonstration am 40. Jahrestag der DDR in Plauen am 7.10.1989 sollte die Situation verändern. Einem eher provisorischen Protestaufruf folgten 15.000 friedlich demonstrierende Menschen. Auf diesen Protest sei die Staatsmacht so nicht vorbereitet gewesen. So blieb der Protest bis in den Abendstunden friedlich, dann habe die Staatsmacht mit brutaler Gewalt eingegriffen. Die Demonstranten hätten sich nicht auf die gewaltsame Auseinandersetzung eingelassen und seien friedlich zum Rathaus gezogen. Ein interessanter Aspekt am Rande: von dieser Demonstration gibt es zumindest in den Westmedien keine Infos und Bilder, obgleich der Staatsmacht die Stirn gezeigt wurde, indem ein Wasserwerfer vom Marktplatz gedrängt wurde. Seit dieser Demo galt überall das Motto „Keine Gewalt“.
Auf der großen Demonstration von Leipzig vom 9. Oktober 1989 wurde dieses Motto immer wieder lautstark gefordert. Bis heute wisse man nicht genau, wer den Gewalteinsatz in Leipzig verhindert habe, so Müller-Enbergs. Insgesamt gesehen, sei aber die ausbleibende Staatsgewalt ein Dammbruch gewesen: Der Staat setzte keine Gewalt mehr gegen Demonstranten ein.
Am 4. November 1989 fand dann in Berlin die größte nicht staatlich gelenkte Demonstration in der DDR statt. Es versammelten sich ca. 500,000 Menschen. Sie galt als Machtdemonstration, zeigte aber auch die Machtlosigkeit von Politik und Staatssicherheit, zu der zu dem Zeitpunkt noch 91.000 Mitglieder und 189.000 IMs gehörten.
Die Machtlosigkeit habe sicherlich auch ihre Ursache in der Tatsache, dass Gorbatschow sich nicht militärisch in die innerstaatlichen Angelegenheiten einmischen wollte und in den östlichen Nachbarländern ähnliche Prozesse abliefen.
Am 9. November hätten im Kontext eines Reisegesetzes, dessen Wirkungsmacht als „unverzüglich, sofort“ deklariert wurde, Menschen an den Grenzübergangsstellen der DDR etwas gewagt und somit die Mauer überwunden, die Staatsmacht sei der Lage nicht gewachsen gewesen, so Müller-Enbergs.
In den Schlussbetrachtungen zeichnet der Referent nochmals den Weg zu Deutschen Einheit nach, allerdings nicht ohne auf ein paar wichtige Fragen zu verweisen. Hätte man nicht doch lieber eine Verfassung gebende Versammlung einberufen sollen, um das Beste aus beiden Systemen zu übernehmen, statt den einfachen Betritt zu wählen? War der Umgang mit den alten Eliten z. B. aus der Staatssicherheit richtig? Warum werden gerade in Ostdeutschland die AFD und das BSW so stark? Liegen die Ursachen evtl. im Vereinigungsprozess?
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