Geschichte vor der Haustür
Die Medizinische Fakultät der Universität Münster in Zeiten des Nationalsozialismus.
In einem differenzierten und sehr fundierten Vortrag, der für die Zuhörer nicht nur beeindruckend, sondern zum Teil auch bedrückend war, widmete sich Prof. Dr. Heinrich Gerding der Geschichte der Münsteraner Fakultät für Medizin während der Zeit des Nationalsozialismus. Es wurde in seinem Vortrag deutlich, dass hier nicht ein Historiker, sondern ein Mediziner, der zudem Student wie auch Lehrender der Fakultät war, das Wort ergreift. In einigen Passagen seiner Ausführungen war ihm die persönliche Ergriffenheit noch deutlich in dem Ringen nach Worten anzumerken. Seine Motivation, sich diesem Thema zu widmen, liege bereits in der Frühzeit seines Studiums und habe viel mit persönlichen Begegnungen u.a. mit Wissenschaftlern der NS-Zeit zu tun – so Prof. Gerding.
Zur Zeit der Machtergreifung 1933 sei unter den Ordinarien der Medizinischen Fakultät kein einziges NSDAP Mitglieder vertreten gewesen. Anders habe es im Mittelbau und in der Studentenschaft ausgesehen. Im Rahmen der Gleichschaltung und auf der Grundlage des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (1933) habe es dann wesentliche Veränderungen gegeben. Die Universität und deren Fakultäten seien nach dem Führerprinzip organisiert worden. Aber nicht nur die Organisationsstruktur habe sich rasch geändert, sondern auch die Zusammensetzung des Lehrpersonals. Hochangesehene Professoren und Institutsdirektoren wie der Pharmakologe Hermann Freund und der Ophthalmologe Aurel von Szily wurden wegen jüdischer Abstammung oder, im Fall des Direktors der Hals-Nasen-Ohrenklinik Heinrich Herzog, wegen eines jüdischen Großvaters der Ehefrau des Amtes enthoben und entlassen. Zwei Ordinarien der Fakultät, der Pathologie Walter Gross und der Internist Paul Krause wurden durch Rufmordkampagnen nationalsozialistischer Mitarbeiter und Studenten in den Suizid getrieben. Im Zuge der Nachbesetzungen wurde dann der Lehrkörper systematisch nationalsozialistisch ausgerichtet. An den Maßnahmen der nationalsozialistischen Rassenhygiene, insbesondere den Zwangssterilisationen haben Fakultätsmitglieder nicht nur aktiv teilgenommen, sondern zu einer Ausweitung der Indikationsstellungen durch mehr als zweifelhafte Erblichkeitsstudien beigetragen. Eines der Mitglieder der Fakultät schreckte auch nicht davor zurück, im Konzentrationslager Auschwitz an der Ermordung von Menschen teilzunehmen, um „lebensfrische Organe“ für sehr zweifelhafte Forschungszwecke zu entnehmen. Diese Sachverhalte schilderte der Redner nicht nur allgemein, sondern nannte dazu Daten und Fakten und die jeweilig verantwortlichen Personen. Er machte dabei klar, dass diese Personen nicht im Namen und für die Wissenschaft gehandelt haben, sondern einzig und allein dem System und der Ideologie dienten.
Zu glauben, dass mit dem Ende des Krieges und dem Untergang des Nationalsozia-lismus das alles ein Ende hatte und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen worden seien, ist ein Irrtum.
Von den Tätern wurde im Rahmen der Entnazifizierung kaum jemand belangt, verurteilt oder entlassen. Der größte Teil der aktiven Nationalsozialisten konnte direkt nach der Kapitulation seine Tätigkeit in der Universität fortsetzen.
Eine in erschütternder Weise bemerkenswerte Entwicklung setzte 1951 mit der Neugründung des Institutes für Humangenetik an der Fakultät ein. Dass der akademisch bedeutendste Rassenhygienikerer der späten nationalsozialistischen Zeit und Auftraggeber des KZ-Arztes Dr. Mengele für dessen Menschenversuche zum Direktor des Institutes berufen wurde, erscheint aus heutiger Sicht unvorstellbar. Zudem wurde in der Nachfolge eine ganze Seilschaft ehemaliger nationalsozialistischer Rassenhygieniker, darunter auch ein wegen der Naziverbrechen zuvor verurteilter Täter am Institut beschäftigt.
Also insgesamt kein Ruhmesblatt für die Universität. Ein Sachverhalt, der nicht nur die Zuhörer erschütterte und nachdenklich stimmte.
Zum Abschluss seiner Ausführungen äußerte Prof. Gerding noch den Wunsch, dass die medizinische Fakultät im Rahmen der 100 Jahrfeier diese 20 Jahre ihrer Geschichte nicht ausblenden möge.
NEUESTE BEITRÄGE
KATEGORIEN
TERMINE



Made with ♥ by Overberg-Kolleg
Hinterlasse einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar schreiben zu können.