Nachtwei zur Ukraine

‚Putins Krieg in der Ukraine‘: Podiumsgespräch mit Winfried Nachtwei am 25. März 2022

Etwas mehr als einen Monat ist es her, dass der russische Präsident Wladimir Putin den völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine befohlen hat und seitdem richten auch wir ungläubig den Blick nach Osten und hören fassungslos die schlimmen Geschichten der Menschen in der Ukraine. Aufgewacht in einer neuen Zeit und mitunter überfordert von der omnipräsenten, medialen Berichterstattung in Echtzeit waren wir daher sehr dankbar mit Winfried Nachtwei, dem ehemaligen sicherheitspolitischen Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, einen ausgewiesenen Experten für außenpolitische Sicherheitsfragen zu Gast bei uns im Kolleg zu haben.

Nach der Begrüßung durch die stellvertretende Schulleiterin, Sabine Bertram, erläuterte Herr Nachtwei in einem Impulsvortrag die historisch-politischen Hintergründe des Krieges und die tagesaktuellen Entwicklungen kenntnisreich und stellte konkrete Handlungsmöglichkeiten vor, von humanitärer Unterstützung der Ukrainer:innen über eine Nato-Flugverbotszone bis hin diplomatischen Maßnahmen der Konfliktlösung.

Von Anfang an machte er ganz klar, dass dieser Krieg auf Geheiß der politischen Führung Russlands – namentlich Putin – geführt werde, und warnte vor Pauschalisierungen, Russ:innen und Menschen mit russischer Migrationsvorgeschichte in Deutschland betreffend. Dieser Angriffskrieg auf die souveräne Ukraine sei von der UN-Vollversammlung mit überwältigender Mehrheit verurteilt worden. Entgegen vorherigen Erwartungen und Befürchtungen seien Städte wie Charkiw und Mariupol sowie die Hauptstadt Kiew nicht gefallen. Die russischen Streitkräfte stünden vor einer offenbar nicht lösbaren Aufgabe und verstärkten ihre unmenschliche Kriegsführung, was nicht nur von der internationalen Gemeinschaft, sondern auch in Russland selbst unüberhörbar verurteilt werde. Der Angriffskrieg stelle die Weltgemeinschaft auf eine harte Probe, dennoch gebe es Handlungsmöglichkeiten, darauf angemessen und konsequent zu reagieren. Schließlich seien „die Völker der Vereinten Nationen“ dazu verpflichtet, die Menschen vor „der Geißel des Krieges [zu] bewahren“, so festgeschrieben in der Charta der Vereinten Nationen.

Im Anschluss an seinen Impulsvortrag stand Winfried Nachtwei den Studierenden in einem Podiumsgespräch Rede und Antwort. In einer ersten Fragerunde vertieften Roland Jahnke und Finn Kersting (beide von der AG Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage) das Thema und baten um seine Einschätzung der langfristigen Bedeutung dieses Krieges für die Politik der westlichen Demokratien und die Weltpolitik sowie für die Demokratiebewegung in Russland selbst. Er ließ außer Frage, dass dieser Krieg die Weltordnung neu bestimmen werde und dass westliche Demokratien – insbesondere im Kontext der NATO – sich derzeit gezwungen sähen, im Sinne einer Abschreckung wieder aufzurüsten. Gerade in Deutschland sei dies lange für unvorstellbar gehalten worden, so sehr seien wir an Demokratie und Frieden gewöhnt und hielten sie für selbstverständlich. Die russische Demokratiebewegung habe leider wenig Chancen: Putin und sein Regime hätten, so Nachtwei, das Land in eine Diktatur umgewandelt mit allen Formen der Unterdrückung der Meinungsfreiheit.

Eine zweite Fragerunde mit Vegard Heroy und Lukas Scholl (beide von der AG Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage) widmete sich dem Informationskrieg, der in den klassischen Massenmedien und vor allem in nie dagewesener Form in den Sozialen Medien geführt wird. Gefragt nach der medialen Performance der beiden Präsidenten, die unterschiedlicher nicht sein könnte, betonte Nachtwei den enormen Einfluss des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf die Widerstandskraft und den Durchhaltewillen der ukrainischen Streitkräfte und Zivilgesellschaft, hier habe eine Nation durch den Krieg zusammengefunden. Der medialen, unüberschaubaren Vielfalt an Informationen mit unterschiedlichem Wahrheitsgehalt und auf unterschiedlichsten Kanälen stellte Nachtwei die gewissenhafte und verantwortungsvolle Auseinandersetzung mit den Medien gegenüber und verwies auf (Print-)Medien, die verhältnismäßig umfangreich und verlässlich tatsachenbasiert über den Krieg berichten würden. Etwas länger rang er um eine Antwort auf die Frage, wie er mit den verzweifelten Lebensgeschichten umgehe, die gerade durch die Sozialen Medien die Lebenswelt jüngerer Generationen erreichten.

In der dritten Fragerunde stellte Samuel Droese die Fragen von Overbergianer:innen, die im Vorfeld des Podiumsgesprächs gesammelt worden waren, und Prasanth Balasubramanyiam (beide von der AG Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage) organisierte die Fragen, die live aus dem Publikum gestellt wurden. In den Fragen ging es um die möglichen Folgen des Krieges, insbesondere vor dem Hintergrund einer Eskalation hin zu einem europäischen Konflikt. Vor allem die Befürchtung des Einsatzes von atomaren oder chemischen Waffen wurde besorgt formuliert. Nachtwei betonte, dass Wladimir Putin als Politiker noch niemals Rückzieher gemacht habe und ein Angriff auf ein NATO-Mitgliedsland auf jeden Fall eine militärische Eskalation nach sich ziehen würde. Seriöse Einschätzungen zu Putins Verhalten seien inzwischen sehr schwer bis unmöglich geworden. Den Befund einiger Studierenden, dass andere Konfliktherde wie in Syrien und in Afghanistan auf Grund der Brisanz des Krieges in der Ukraine nicht mehr im Fokus der Weltöffentlichkeit stünden, teile er zwar, vergessen seien die notleidenden Menschen dort jedoch nicht. Nachtwei prognostizierte eine noch eine lange Dauer des Kriegszustandes, obgleich die Sanktionen auf Grund ihrer Härte möglicherweise schnell greifen und massiv die russische Zivilbevölkerung treffen würden.

Abschließend wies er nachdrücklich darauf hin, dass es seit Jahrzehnten zahllose Kontakte und Beziehungen zwischen Menschen in Deutschland, in Russland, in der Ukraine und in anderen osteuropäischen Ländern gäbe. Diese Brücken sollten nicht abgebrochen werden, die Bevölkerung in der Ukraine bzw. ukrainischen Geflüchteten unterstützt werden.

In diesem Sinne wies Magdalena Pickers (Offenes Forum für Geflüchtete aus der Ukraine) auf konkrete Spendenmöglichkeiten hin und Studierendensprecher Tobias Lücke lud zu einem Kuchenbuffet im Overberg-Kolleg zugunsten von ukrainischen Geflüchteten ein.

Unser herzlicher Dank gilt Herrn Nachtwei, der sich auch noch nach dem Podiumsgespräch für die Studierenden des Kollegs Zeit nahm, ihren Gedanken zuhörte und ihren Berichten aus den eigenen Familien, ukrainischen wie russischen, lauschte.

Er verließ uns alle mit einem deutlichen Wissensgewinn und mit der Erkenntnis, dass es sich trotz aller Widerstände immer wieder und zweifelsohne lohnt, für Demokratie und Frieden einzustehen!

Im Namen der AG Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage

Ingo Stöckmann und Kristina Thies