Studienfahrt nach Weimar

Morgens um 6:00 Uhr begann unser Trip nach Weimar, der, wie sich später herausstellen sollte, eine Kulturreise der besonderen Art war. Um ca. 11:30 kamen wir bei bestem Sonnenschein vor Ort an, stiegen aus dem Bus und befanden uns inmitten eines kleinen alten Marktplatzes, umringt von niedlichen, unterschiedlich farbigen Häuschen, die stark an eine Theaterkulisse erinnerten. Direkt vor uns: Goethes Wohnhaus, etwas abseits plätscherte ein kleiner Brunnen vor sich hin. Schön hier!

Unser Hotel befand sich schräg gegenüber vom Marktplatz, also mitten in der Altstadt und bestens gelegen, wie wir schnell herausfanden, denn Sparkasse, Supermärkte und Ess-und-Trink-Gelegenheiten waren im Umkreis von 50 m gelegen. Beste Voraussetzungen!

Um 14:00 Uhr begannen unsere ersten Führungen; wir besichtigten, in Gruppen aufgeteilt, wahlweise Goethes Wohnhaus, Goethes Gartenhaus, das Nationalmuseum oder die Anna-Amalia-Bibliothek. Wir bekamen Eindrücke, wie der wahrscheinlich bedeutendste deutsche Dichter gelebt, gewohnt, gearbeitet hat, wie er beim stundenlangen Schreiben an seinem Stehtisch auf einem „Sattelstuhl“ gestanden haben muss und in seinem Garten spazieren ging.

Der berühmte Rokokosaal der Bibliothek, der im Stile einer Kirche gebaut ist, hält Bücher bereit, die bis zu 600 Jahre alt und älter sind, und teilweise bei einem großen Brand 2004 stark beschädigt und wieder restauriert wurden. Es ist erstaunlich, diese Orte besuchen zu können, und sich vorzustellen, wie ein Goethe und ein Schiller (der ca. 200m entfernt von Goethes Wohnhaus wohnte) damals dort ihr alltägliches Leben zusammen verbracht haben; zu sehen, wo und wie die wertvollsten deutschen literarischen Werke entstanden sind. Kultur pur! Unser erster Tag in Weimar war ein tolles Erlebnis, mit entsprechend heiterem und angenehmem Ausklang des Tages.

Am zweiten Tag dann der komplette emotionale Kontrast zum Vortag. Um 8:00 Uhr ging es mit dem Bus in Richtung Buchenwald, dem Konzentrations- und Arbeitslager der Nationalsozialisten in Weimar. Hier wurden während des Zweiten Weltkriegs Juden, politische Gefangene sowie Kriegsgefangene und Systemfeinde unter scheußlichen Bedingungen in überfüllten Baracken zu 300-700 Mann gefangen gehalten und dem Tode überlassen. Schätzungsweise 50-80.000 Menschen von ca. 250.000 insgesamt überlebten diese Gefangenschaft nicht. Hier gibt es keine „Gaskammern“. Die Menschen, die hier starben, fielen Verbrechen zum Opfer, getötet von Sadisten oder hoffnungs- und hilflos dem Tode überlassen ohne Versorgung, unter grausamen psychischen und physischen Misshandlungen. Worte können das ekelhafte, die Kehle zuschnürende Gefühl kaum beschreiben, das man empfindet, wenn man die Schwelle des Tores zu diesem Ort betritt. Die kalt-nasse Luft, die sich durch die Kleidung beißt, die Ruhe in der Luft, oben auf dem Ettersberg, die vielen Erinnerungssteine und Mahnmale lassen diesen Ort wie einen riesigen Friedhof wirken, der er ja im Prinzip ist.

Es ist für mich unbegreiflich, wie in ein und derselben Stadt, rund 135 Jahre vorher, Menschen wie Goethe und Schiller die Wege dieser Stadt beschritten, sich Gedanken machten und Werke schufen, die so wertvoll für die Menschen sind, Weltkulturerbe sind, Menschen, die der Welt in so vielen Dingen durch ihre Art zu denken und zu handeln Fortschritt gebracht haben.

Dann, mit der Errichtung der NS-Herrschaft, passiert ein solcher Rückschlag, solch ekelhafte Verbrechen an der Menschenwürde und den Menschenrechten. Was haben die Nationalsozialisten aus dem gemacht, was uns diese Stadt einst schenkte, Literatur, Kultur, nicht zuletzt die Demokratie, Dinge die diese Stadt sogar bekanntermaßen zu einer Lieblingsstadt Adolf Hitlers machten?

Es ist für mich einfach nicht in Worte zu fassen, und erfüllt mich zutiefst mit Trauer und Sorge, dass vor gerade einmal zwei Generationen, Menschenleben so unwürdig verachtet wurde, dass Menschen in der Lage sind, anderen Menschen so etwas anzutun. Leider gehört dieser Teil auch zu unserer Geschichte – und auch zu unserer Gegenwart.

Nach unserer Führung durch das KZ besuchten wir noch die Wartburg in Eisenach, die Burg, in der Martin Luther einst in zehn Wochen die Bibel ins Deutsche übersetze. Wir erhielten die wohl beste und unterhaltsamste Führung der ganzen Fahrt von einem bühnenreifen Tourist-Guide, der verstand, wovon er sprach, und uns in schnellem Tempo durch die Burg und die einzelnen, individuell geschmückten Räumlichkeiten führte und uns die nötigsten Informationen und Details dazu verriet.

Um 17:00 Uhr waren wir wieder im Bus und auf dem Rückweg. Wir hatten in knapp 30 Stunden die vollkommene Kultur-Achterbahn-Erfahrung gemacht, und ich glaube, es waren alle froh darüber, sich nun ausruhen und das Erlebte verarbeiten zu können.

Patrick Eisenhut, 5. Semester